So weit ich mich zurück erinnern kann, habe ich zuletzt einen Roman in der Oberstufe meines Gymnasiums gelesen. Immer wieder mal habe ich versucht mir ein gutes Buch zu Gemüte zu führen. Aber wie das oft so ist - erfolglos. Immer wieder habe ich die Bücher beiseite gelegt und nach und nach waren deren Cover mit einer matten Schicht aus Staub bedeckt. So glanzlos wie sie dann waren, so wenig anziehend waren sie dann auch für mich. Sie wurden schlicht zu einem Teil meiner Zimmerdeko bis sie dann beim nächsten Frühjahrsputz ausgemistet wurden. In der Schule war man gezwungen zu lesen und später, aus freien Stücken, habe ich mich nie dazu bewegen können. Ich habe mal gehört, dass Leute die als Kinder viel gelesen haben, später eher weniger lesen und andersrum. Vielleicht zähle ich zu den Letzteren. Im meiner neuen Düsseldorfer Altbauwohnung mit dem endlosen Bücherregalen, die fest in die Flure integriert sind, überkam mich dann doch noch der Wunsch diese wenigstens mit ein paar Büchern zu füllen, um irgendwann vielleicht mal der Frage - wozu ich all diese Regal denn bräuchte, wenn ich ja doch nie lese - entgehen zu können.
Dies und der Bücherei Gutschein meiner Tante, den ich zu Weihnachten bekommen hatte, ließen mich dann voller Hoffnung in die Buchhandlung schlendern. OK, lesen - ja schön und gut - aber was? Klar, es musste etwas mit Japan zu tun haben. Wenn ich schon einen Roman lesen würde, musste dieser wenigstens ein paar interessante sachliche Informationen zu meinem Lieblingsort innehaben. Schnell auf dem Handy mal die japanischen Autoren Charts durchgeblättert. Ein Name blieb dann auch direkt in meinem Gedächtnis hängen - Murakami. Der belegt ja fast die gesamten Top 10! "Macht süchtig.." sagen die vom Spiegel. Muss ja was dran sein - na dann soll es halt Murakami sein.
Und weil man ja nicht kleckern soll hab ich mir direkt zwei seiner Bestseller geholt. "Über Männer, die keine Frauen haben" - aber ich hab doch ne Frau; Was soll ich da schon dazu lernen - naja wenigstens ist es eher dünn - das ließt sich schnell und füllt das Regal.
Zu hause angekommen hab ich mir direkt das Dickere von den Beiden vorgenommen.
Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Obwohl ich ein Lesemuffel bin, möchte ich mir hier mal direkt das Recht herausnehmen zu sagen - das ließt sich ja locker runter. Ich hab das Teile doch echt schon am nächsten Tag durch gehabt. Is mir ja noch nie passiert - war wohl das richtige Buch - was für ein Glück! Andernfalls wären die Regale wohl doch die nächsten 10 Jahre leer geblieben, bis zu meinem nächsten Versuch.
Es gib nur ein einziges Kapitel, das doch recht zäh ist. So erzählt ein Freund (Haida) des Hauptcharakters (Tazaki) eine Anekdote aus dem Leben seines Vaters - Ich habe den tieferen Zusammenhang zu der Haupthandlung nicht ganz nachvollziehen können. Ansonsten ziehen sich drei Fäden, wunderbar erzählt, kontinuierlich durch das gesamte Werk. Zum einen geht es natürlich, um den mentalen Heilungsprozess des Herrn Tazaki, der eine schwerwiegende Wunde im Inneren trägt, die ihm aus seinen frühen Zwanzigern noch immer bis zu seinem sechsundreißigsten Lebensjahr hinterherhängt. Entstanden ist diese Wunde durch einen abrupten Verlust seiner engsten Freunde, die ihn haben links liegen lassen ohne einen, für Herrn Tazaki, erkennbaren Grund. Dieser versucht nach und nach dem Grund auf die Spur zu kommen, indem er wieder Kontakt zu besagten ehemaligen Freunden aufnimmt und diese einen nach dem anderen befragt.
Zum Anderen baut Murakami geschickt einen krimiartigen Aspekt in die Geschichte ein, der so eine weitere Neugier beim Leser auslöst.
Hier mal kurz gespoilert!!: Was in einem die Neugier weckt mehr über den Mörder von Shiro (Weiß = weibliche Freundin Nummer 1) zu erfahren und einen insgeheim hoffen lässt, dass Tazaki einen seiner Freunde als Täter entpuppt, stellt sich zum Ende der Geschichte leider als ein Lockmittel heraus. Der einzige Grund für den Tod der Shiro scheint wohl in Murakami's Augen darin zu liegen, dass Herrn Tazaki letztlich nichts anderes übrig bleiben soll als sich eine Erklärung zusammen zu reimen. So, dass zum Ende ein psychologischer Interpretationsfreiraum für das Verhalten von Shiro bestehen bleibt.
Der dritte Handlungsstrang, und für mich auch interessanteste, ist die Herrn Tazaki antreibende Romanze mit Sara. Ich war begeistert darüber wie Murakami die Unterhaltungen zwischen Tazaki und seiner Flamme so gestaltet, dass diese einem im Nachhinein wie die Unterhaltung zwischen einem Patienten und seinem Psychologen vorkommen und während des Lesens doch so sehr fesseln. Es sind aber auch genau die Gespräche zwischen den beiden, die Aufschluss über den Heilungsfortschritt von Herrn Tazaki's innerer Wunde geben.
Um schon mal ganz ehrlich zu sein und von einer distanzieren Warte aus gesprochen, die rein die Geschichte in Augenschein nimmt, ist die Story jetzt nicht so der Bringer.
Ein Mann wird durch den Verstoß durch die besten Freunde schwer gekränkt und durchlebt eine Depression. Als er eine Frau kennen lernt, die bei ihm wahre Liebesgefühle auslöst, ist das Einzige was zwischen den beiden steht, die noch immer vorhandene mentale Wunde. Die Frau bemerkt dies und treibt den Mann dazu an sich seinen Ängsten zu stellen und den Grund für seinen seelischen Schaden herauszufinden, um so endlich damit abschließen zu können, so dass am Ende nichts mehr zwischen der Liebe der beiden steht.
Je mehr der Mann die Gründe des Verstoßes aufklären kann und die Fakten mit der Frau teilt, desto mehr fühlt sich dieser mit ihr verbunden und desto stärker fühlt er sich zu ihr hingezogen.
Wenn man es so flach zusammenfasst, wird einem selbst erst so richtig klar, dass eigentlich die knappe und simple Liebesgeschichte im Vordergrund steht. Sie ist der Aufhänger der Geschichte. Also sollte ich mich selbst korrigieren und sagen, dass die Aufklärung des Verstoßes durch die eigenen Freunde eigentlich eine Nebenhandlung ist?
Ich glaube es kommt auf den Leser selbst an welchen Teile der Geschichte er als Kernthema annimmt und welcher Teil der Geschichte der Füller ist.
Als Herr Tazaki seine Freunde nach einander aufsuchen will stößt er auf die schmerzliche Tatsache, dass Shiro verstorben ist. Was nicht größere Emotionen bei mir auslöste, da ich nicht das Gefühl hatte, dass Tazaki wirklich in Shiro verliebt gewesen sei. Lediglich haben die beiden viel Zeit in der Pubertät miteinander verbracht und hatten keine Minute aufgebracht, sich das Thema Sex im gegenseitigen Bezug durch den Kopf gehen zu lassen, da dies ein Tabu war und hätte dem Gruppenwesen schaden können. Nur logisch, dass nach dem Jahrelangen Anblick eines wunderschönen Mädchens irgendwann einmal bei einem Jungen (oder mittlerweile erwachsenen Mann) sexuelle Gedanken aufkommen. Die jedoch von Murakami auch schlicht weg als sexuelle Fantasien hingestellt werden und keine tiefere gefühlsmäßige Tragweite haben. So nimmt man als Leser den doch hervorstechenden Tot der Shiro einfach hin - auch wenn die Ursache ihres Todes darin lag, dass diese von Mister X erwürgt wurde.
Schon beim ersten Gespräch zwischen Tazaki und "Ao" (Blau = männlicher Freund Nummer 1) wird klar, dass der Auslöser des Verstoßes natürlich bei Shiro lag. Demnach ist relativ früh klar - es wird eine interpretative Auflösung der Ursache bleiben. Die Unterhaltung ist die kürzeste von allen und ist relativ banal. Aber das entspricht ja auch dem Charakter des Ao. Dieser ist / war eine schlichte Rugby interessierte Persönlichkeit. Also nicht so der tiefsinnige Typ. Und genau so würde ich auch die Unterhaltung zwischen den beiden schildern.
Auch das zweite Gespräch mir "Aka" (Rot = männlicher Freund Nummer 2) bringt nicht viel mehr Licht hinter die Sache. Eigentlich ist das zweite Gespräch eine recht zähe Angelegenheit. Aka schildert über viele Seiten hinweg seinen beruflichen Werdegang, der offensichtlich als skurril dargestellt werden soll, jedoch für mich nicht so einen außergewöhnlichen Anschein macht. Er ist halt mit seiner Selbstständigkeit erfolgreich geworden. Na dann betreibt er halt eine consulting Firma mit sektenartigen Methoden. Hat mich jetzt auch nicht wirklich vom Stuhl gehauen. Und sowieso hatte ich den Anschein, dass Herr "Eingebildet" nur von sich spricht und sich dann auch noch plötzlich als homosexuell outet. Schön für ihn! Hat er sich nun endlich sein Geheimnis von der Seele gesprochen. Freut mich, dass es ihm nun besser geht - aber inwiefern hilft das Tazaki?
Um sich mit Kuro (Schwarz = weibliche Freundin Nummer 2) zu unterhalten, muss Tazaki doch glatt nach Finnland reisen. Ich frage mich wieso Finnland - Bestimmt ist Murakami schon einmal dort gewesen und nutzt die Gunst der Stunde, um sein Wissen über die finnisch Atmosphäre an den Mann zu bringen.
In Finnland angekommen findet Tazaki relativ reibungslos die alte Freundin. Sie bringt wohl am meisten Informationen zu Tage. Sie schildert nicht nur ihre Lebensgeschichte, sondern auch die von Shiro (selbst kann sie es ja auch nicht).
Nach dem Verlassen von Finnland ist nun also alles klar. Tazaki hatte natürlich nie die schöne Shiro vergewaltigt, so wie sie es damals behauptet hatte und die Gruppe sich natürlich daraufhin von Tazaki losgesagt hatte. Auch hatte nie jemand, außer Shiro selbst, geglaubt, dass es je so gekommen war. Man hatte aber Tazaki opfern müssen, um so der offensichtlich mental verwirrten Shiro beizustehen. Tazaki empfindet sich nun also nicht mehr in der Opferrolle sondern er sieht Shiro hierin. Sie hatte deutlich mehr gelitten als er. Problem gelöst.
Ja - also ein eher unbefriedigendes Ergebnis einer langen Nachforschungsgeschichte. Naja.... Solange es Herrn Tazaki nun besser geht und er endlich mit Sara in die Vollen gehen kann bin ich zufrieden. Geht es also nun endlich los mit den beiden? Nein - es bleibt oberflächlich - Ist ja auch kein Liebesroman (Sollte ich beim nächsten mal vielleicht in Betracht ziehen - Liebesroman, warum nicht). Also die beiden werden dann wohl ein Paar. Das ist aber auch alles an Details, die man letztlich bekommt. Denn bei genau diesem Handlungsstrang wird nur sehr wenig ausgeschmückt.
Und der Mörder? Also keiner der Freunde ist es gewesen - Wer dann? Scheint egal zu sein; "wird wohl für immer ungeklärt bleiben" - oder so hatte es geheißen.
Oh! Nun vergesse ich doch glatt den Herr Haida! Tazaki ist also anfangs nach dem Ausschluss aus der Gruppe zu tiefst verletzt und geplagt von Depressionen. Als er sich wieder so einigermaßen gefangen hat und nicht ununterbrochen an den Tot denken muss, trifft er also Herrn Haida. Die beiden hören Musik, schwimmen, essen und reden (unter anderem erzählt Haida in diesem Zug auch die Geschichte von seinem Vater - lahm). Und nu? Wie das oft so ist, wenn ein Charakter einfach so ohne erkennbaren Zusammenhang zur Haupthandlung in einer Geschichte auftritt - er verschwindet genau so plötzlich wieder. Hinterlässt keine Spuren - weder bei Herrn Tazaki noch bei mir. Auch wenn eine homosexuelle Fantasie von Tazaki mit Haida kurz bei mir Verwirrung ausgelöst hatte, bin ich nicht zufrieden mit dem Charakter des Herrn Haida. War auch klar, dass als der Haida wieder verschwindet, dies unverhofft und abrupt geschieht. Ganz genau so wie Tazaki's freunde einst "verschwunden" waren.
Nun muss ich aber dann doch einbringen, dass ich das Buch von seiner Methodik absolut gut fand. Es ist eben diese systematische Gliederung der verschiedenen Handlungsstränge, die nach und nach voranschreiten und das Buch lesenswert und interessant macht. Der Schreibstil ist ganz genau so wie die vielen Rezensionen es ausgesagt hatten. Es macht süchtig und man liest gnadenlos weiter bis keine Seite zum Umschlagen mehr übrig ist. Es macht Lust auf mehr Murakami! Auch wenn ich nun die Hoffnung hege, dass das nächste Buch ein wenig tiefer geht und mehr Emotionen in mir auslöst, obwohl ich das im Fall von "Über Männer die keine Frauen haben" bezweifle, da sich dies aus mehreren Kurzgeschichten zusammen setzt, die jeweils ca. 50 Seiten starkt sind. Das gibt mir wenig Mut - Aber eins ist gewiss - Das Buch wird ruck zuck durchgelesen sein.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen